Ein Kreuzberger Dichterfürst? Der Herr in Schwarz mit Hut? Die Seele der Kreuzberger Literaturwerkstatt? Die Institution des Berliner Büchertisches? Ein Herr der Wörter ?

"Kennen Sie Nepomuk Ullmann?", fragte mich ein Praktikant, der nach seiner Zeit beim Berliner Büchertisch weitere Verlagserfahrungen erwerben wollte. Nein, wir kannten ihn nicht und ließen uns gerne dazu überreden, die allmonatliche Lesung des Berliner Büchertisches am Mehringdamm zu besuchen.

An den Träumen ankern die Sterne, am Rand der Zeit …Ullmann las Gedichte und man dachte, was ist denn das? Ein Dichter, kein Philosoph, kein Weltverbesserer, kein Essayist, kein Schriftsteller; ein Dichter, dessen Worte ins Herz, in die Seele und auch in den Verstand gingen.

So keimte die Idee, ob man nicht eine Biographie über ihn machen könnte und man verabredete sich, um sich sein Leben erzählen zu lassen. Kein schönes Leben, voller Brüche, unbehütet und unbehaust,  aber aufschreiben?? - Nepomuk Ullmann war nicht interessiert. Seine Seele liegt nicht in dem Wahrheitsgehalt seines Lebens, sie liegt in seinen Gedichten.

So vergaßen wir Nepomuk Ullmann, bis einer unserer Komponisten, bei der Vorbereitung eines weiteren Liedbandes für unsere Reihe Hören und Lernen, uns fragte: "Kennen Sie Nepomuk Ullmann? Ich habe ein kleines Büchlein in der Alten Feuerwache, Berlin-Mitte, erworben. Die Asche brennt auf meiner Brust, ohne Jahreszahl, herausgegeben vom Büchertisch mit wunderschönen Gedichten. Ich würde gerne ein Gedicht vertonen."

Und so begann eine Suche, die ich in diesen Zeiten nicht für möglich gehalten hätte, keine ISBN führte uns zu einem Verlag. Kein Wikipedia-Eintrag führte uns zum Autor. Aber wir fanden den Berliner Büchertisch und darin den Namen Nepomuk Ullmann und die Kreuzberger Literaturwerkstatt, deren Seele Nepomuk Ullmann ist, mit Weisheit und seinem aufblitzendem Humor seinen Dichter-Nachfolgern zu ihren Präsentationen verhelfend.  Dazu der Büchertisch als Ort! Kein verrauchtes, ödes, versifftes Lokal für einen Poetry Slam, nein, überall Bücher; Bücher, die einen umgeben und einen glücklich machen. Die Nachricht von Nepomuk Ullmann, dass hier am Mehringdamm bald Schluss sei, verwandelt dieses Glück in Hass und Wut. Warum, warum gibt es keinen Ort für dieses Glück?

Für seine Zeitgenossen, für seine Leser und Zuhörer sind seine Gedichte Begegnungen mit der Menschlichkeit, zerschlissen von der administrativen Sprache, die uns täglich nicht nur begleitet, sondern überfällt. Auch den Dichter-Kollegen an diesem Abend spielten seine Gedichte so manchen traurigen Streich. Seine Gedichte, wie eine schöne Straße, die unter Schutt und Ascher droht, verloren zu gehen. Reich ist Ullmann nie gewesen und wird es auch nicht werden, aber jene Gier der Künstlerkollegen nach Gagen und Aufmerksamkeit scheint ihm fremd zu sein. Man hat den Eindruck, ein großes traumverlorenes, aber doch realistisches Kind geht hier unbeirrbar seinen Weg, den er für uns mit seinen Gedichten pflastert. Ein Dichter, ein Poet – es gibt ihn noch. Wenn in der Zeitschrift der Gema 2/2016 mit Recht die Frage verneint wird Kann Musik die Gesellschaft verändern?, erinnert  dies an längst vergangene Zeiten der gesellschaftlichen Veränderungswünsche durch Diktatoren. Nein, die Gesellschaft kann weder durch Musik noch durch Poesie verändert werden, aber das einzelne Herz, die Seele einzelner Menschen. Und das bedeutet weniger Hass und weniger Wut, sondern Humanitas und Schönheit. (Aus: im Herzen:…. Eisblumen schlummern /im Schnee/ bis sie uns/ im Herzen schmelzen. Oder Träume: Träume ungezählt/ in den Stunden der Nacht/ ich in ihnen/ dir hinterher rasend/ mich schmerzt/ die Einsamkeit.)

Trotz Partygeschrei, trotz des sich ausbreitenden Tourismus', trotz Verlust von Heimat und Sprache im Öffentlichen Raum - es gibt ihn noch, den Dichter - wir glauben, den größten lebenden Dichter, den Berlin zur Zeit hat, gefunden zu haben. Inmitten dieses trubeligen, immer unsicherer werdenden Berlins, inmitten von Chaos und schleichendem Verlust an Lebensqualität - ein Dichter!  Es ist unglaublich!