Von Elisabeth Simon

Helga Schwarz, Das Deutsche Bibliotheksinstitut: Im Spannungsfeld zwischen Auftrag und politischem Interesse“, Simon-Verlag für Bibliothekswissen, Berlin 2017. Nach dem Medienhype um Helga Schwarz – mit 82 Jahren promoviert! – und den Erörterungen ihres Buches durch Karsten Schuldt in libreas und Willi Bredemeier in Open Password, beides Autoren meines Verlages, nun also die Vorstellung des Buches vor dem Berliner Arbeitskreis für Information.

Es kamen viel mehr Zuhörer als man in der Julischwüle und am Ende des Semesters realistischerweise hätte erwarten können. Darunter befanden sich nicht nur Senioren, die die Abwicklung des DBI seinerzeit miterlebt hatten, sondern auch junge Repräsentanten der Bibliotheks- und Informationsbranche, die wissen wollten, warum das einzige Zentralinstitut des deutschen Bibliothekswesens scheiterte. Auch wenn ich als Verlegerin des Buches von Schwarz zugegebenermaßen pro domo spreche, eines erwies sich auch hier, es liegt eine der wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres zum Bibliothekswesen vor. Denn wie sollten wir über die Erneuerung und gegebenenfalls der Reform des deutschen Bibliothekswesens angemessen debattieren und zur Tat schreiten können, wenn wir nicht auf die seinerzeitigen Erfahrungen mit dem DBI zurückgreifen?

Und ein weiteres Fazit: Die Grundlagen für eine Debatte über den Untergang des DBI und die daraus ziehenden Konsequenzen für die deutschen Bibliotheken scheinen mir mit dem Auftritt von Helga Schwarz vor dem Berliner Arbeitskreis für Information gelegt. Nachdem ich bereits die Beiträge von Schuldt und Bredemeier auf meiner Website www.simon-bw.de eingestellt habe, lade ich alle Interessierten zu weiteren Erörterungen auf meiner Plattform ein. Mails bitte an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Auch Open Password möchte sich an der Debatte beteiligen.

Die Autorin hielt vor dem BAK ein dichtes und hochkonzentriertes Referat und deutete die aktuelle Bedeutung ihrer Arbeit an. Wie in ihrem Buch lehnte sie es in der anschließenden Diskussion ab, über einzelne Turbulenzen um das DBI oder gar einzelne Personen zu spekulieren. Vielmehr basiert ihre Arbeit auf einer umfangreichen und akribischen Auswertung von Archivquellen, in einigen Fällen durch Interviews ergänzt. Das reicht auch aus meiner Sicht, um zu einem konkreten Bild des seinerzeitigen DBI und seinen Entwicklungen zu kommen.


Die Fragmentierung zwischen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken überwinden!


Wohl ging Helga Schwarz auf eine Reihe von Faktoren ein, die die Überlebenschancen des DBI schmälerten, beispielsweise die Unstimmigkeiten zwischen den Stakeholdern der DBI, die mangelhafte Kommunikation unter ihnen und die sich immer wieder verändernden Interessenkonstellationen. Dazu kamen die Managementfehler innerhalb des DBI und das fehlende Frühwarnsystem für die sich entwickelnden existenziellen Gefahren. Zwar erwarb sich das DBI mit seinen Beiträgen zur Überführung ehemaliger DDR-Einrichtungen in ein neues gesamtdeutsches Bibliothekssystem große Verdienste. Diese Entwicklungen gereichten dem DBI aber zum Nachteil, weil für die nunmehr überlastete „Blaue Liste“ das Omnibusprinzip eingeführt wurde. Das heißt, für jedes neu aufgenommene Institut sollte nach dem Willen der Förderpolitik ein altes abgewickelt werden.

Vor allem jedoch wurde das ungeklärte Verhältnis zwischen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken dem DBI, das in allen Evaluierungen und weiteren Diskussionen und auch im Verhalten der Stakeholder eine große Rolle spielte, dem DBI zum Verhängnis. In anderen Ländern, beispielsweise den Niederlanden und den skandinavischen Ländern, ist diese Fragmentierung nicht gegeben. Auch aus diesem Grunde können sich die Bibliotheken dort leichter mit ihren Anliegen mit einer Stimme in der Öffentlichkeit und gegenüber den Politikern durchsetzen.

Heute, im Zeichen von Big Data und Digitalisierung und einer nach wie vor ungesicherten Stellung der Bibliotheken, wären Personen und Einrichtungen, die diese Fragmentierung zu überwinden suchten, notwendiger denn je. Dies gilt auch für Einrichtungen, die die Öffentlichkeit über das Bibliothekswesen professionell informierten und die Bibliotheken über die für sie wichtigen Entwicklungen qualifiziert unterrichteten.


Eine wissenschaftsbasierte Wahrnehmung gemeinsamer Interessen im Bibliothekswesen ist nach wie vor nötig.


Dazu noch ein paar persönliche Bemerkungen: Helga Schwarz ist selbstverständlich der Medienhype als Belohnung für ihren wissenschaftlichen Enthusiasmus zu gönnen. Dennoch war das erste Medienecho ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Öffentlichkeit für die Lage des Bibliotheks- und Informationswesens kaum interessiert. Umso wohltuender ist es, dass es jetzt mehrere Veröffentlichungen gibt, die sich mit der Arbeit von Frau Schwarz auseinandersetzen. Dabei fordern sowohl Schuldt als auch Bredemeier dazu auf, die Debatte um das DBI mit Blick auf die aktuell zu ziehenden Konsequenzen fortzusetzen. Dem stimme ich gern zu.

Allerdings trifft Schuldts Vermutung nicht zu, ich könne wichtige Stellen aus der Arbeit von Helga Schwarz herausgestrichen haben. Das war gar nicht möglich, da es sich bei der Studie um eine Dissertation handelt, die nicht verändert und damit auch nicht lektoriert werden durfte.

Auch glaube ich nicht, dass das DBI von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen ist. Diese Zwangsläufigkeit sehe ich nicht, auch wenn ich zugeben muss, dass die Bedingungen, unter denen das DBI arbeiten musste, von Anfang an schwierig waren. Aber hätte es den politischen Willen gegeben, die Arbeit des Instituts zu einem Erfolg werden zu lassen, und hätten es die Stakeholder und die DBI-Leitung nicht an Realismus zum politisch Möglichen fehlen lassen, die Entwicklung des DBI hätte anders aussehen können. Es gibt ja auch andere Institutionen, die unter ihren vorgegebenen Strukturen leiden und dennoch hervorragende Arbeit leisten. Diese Einschätzung halte ich für wichtig, wenn man nach der Organisierbarkeit koordinativer Aufgaben und der wissenschaftsbasierten Wahrnehmung gemeinsamer Interessen im Bibliothekswesen fragt.   

Schuldt sagt zu Recht, dass auch andere Länder kein Bibliotheksinstitut haben. Dafür haben sie aber Einrichtungen, die koordinierende Arbeiten leisten und politisch ihre Stimme erheben. So haben sich die LA in den USA und CILIP in Großbritannien immer wieder in Debatten eingemischt oder diese ausgelöst. Nicht immer waren sie erfolgreich, es gab viel Gegenwind, aber sie hatten auch Erfolge.

Einrichtungen wie diese benötigen wir auch in Deutschland. Wo sind die deutschen Bibliotheken, wenn es um Fragen der Bildungspolitik oder solche der Digitalisierung geht? Zum neuen Urheberrecht hat es eine polarisierende Diskussion zwischen Bibliotheken und Verlegern gegeben. Aber nach der Beschlussfassung durch Bundestag und Bundesrat in den letzten Tagen sollten Erörterungen einsetzen, wie das neue Urheberrecht in Kooperation zwischen Bibliotheken und Verlagen gemeinsam umgesetzt werden sollte. Wird es dazu kommen? Es ist fraglich, ob ein DBI hier genützt hatte, aber die Hoffnung hätte immerhin bestanden.

Und ja, man kann die Abwicklung im Kontext mit anderen Abwicklungen sehen, beispielsweise mit dem Untergang der nationalen Agrarbibliothek (die USA hat immer noch eine und zieht daraus große Vorteile). Das jedoch war nicht das Anliegen des Buches von Helga Schulz. Hier haben wir ein weiteres Thema für die Fortführung unserer Debatte.