Das 3 Berliner Festival für zeitgenössische Tonkunst und

Literatur im Kulturhaus Alte Feuerwache am 16. und  17. Juni 2017

Ein Musikfestival ist kein Konzert, es ist auch keine Musikberieselung zum Chillen, es ist kein Ritt zur Unterhaltung durch die Klassik – es ist ein Bad in Musik für Kenner und zum Kennenlernen- von Experten zum Musikliebhaber, vom Hören und  Lernen und Austausch, es ist zeitaufwendig , anstrengend und wunderschön, es lässt einen nicht kalt, manchmal ärgert man sich und beschenkt  einen mit dem Schönsten, was es gibt, unvergesslichen Musikerlebnissen für Herz und Seele.

Das  3.- Oaarwurm Festival  versammelte so viele Komponisten wie nie zuvor, Benjamin Schweitzer, Mark André, Helmut Oehring. Michael Quell, René Wohlauser , Max Keller , Franz Jochen Herfert , Joana Bailie, Rebecca Saunders

Milicia Djordjevic und Art Oliver Simon (Berlin).

Alle Komponisten waren mit eigenen Kompositionen in einem so alle Facett-+en umfassenden Programm vertreten, so dass die oft beklagte Eintönigkeit moderner Musik in einem so verschiedenartigen Programm , gespielt  von den unterschiedlichsten Gruppen und der neuartigen Instrumentierung einer großen Spannung  Platz gemacht hatte, so dass irgend ein Hauch von Langeweile eher der Anstrengung wich, die die neue Musik fordert und die in solcher Breite und Verschiedenartigkeit eher überfordernd war. Dass sich das Publikum wohl fühlte und das Festival genoss war auch dem Kulturhaus Alte Feuerwache zu verdanken , seiner hellen und offenen Galerie mit seiner freundlichen Leiterin Frau Ottersberg  und der liebevollen Betreuung durch Uwe, der den Teilnehmern sichtlich ans Herze wuchs.

Gleichzeitiges unzeitgemäß nannte sich das Programm  von Georg Wettin (Klarinetten) zusammen mit Susanne Stock (Akkordeon )  Junge Damen Akkordeon spielend waren ein neuer Anblick bei der zeitgenössischen Musik, der sich am folgenden Abend am letzten Konzert mit der kraftvoll spielenden Eva Zöllner wiederholte. Zeigt sich hier ein neuer Trend an?  Die Akkordeon Vor stellungen machten darauf neugierig, liegt doch in einer neuen Instrumentierung  gerade mit dem Akkordeon, das man in den letzten Jahren nicht sehr oft gehört hatte, ein großer Reiz.

Der Höhepunkt dieses Abends war die Liedvorstellung (Schönberg, Simon)von  Solgerd Isalv,  hinreißend und einfühlsam begleitet von Jonas Olsson. Diese Vorstellung hätte auch im gerade eingeweihten Boulez Saal stattfinden können. Solgerd Isalv hatte vor einigen Jahren bei einem Konzert in  der Bibliothek am Luisenbad gesungen und schon damals fiel sie mit ihrer wunderschönen Stimme und ihrem disziplinierten Vortrag auf .Aber welche Entwicklung hat diese junge Künstlerin genommen, die Gestaltung ihrer Lieder konnte keinen kalt lassen. Welcher Ausdruck der Stimme und  Worte !

Fast wie ein Kontrastprogramm wirkte die Lesung von Nepomuk Ullman und passte sich auf der anderen Seite dieser Vorführung an. Ullmann,  der einzige neben Simon auf diesem Festival vertretene  Berliner Künstler, hat gerade durch die Gentrifizierung seinen Wirkungskreis, den er zum Wohle der Poeten hier in Berlin aufgebaut hatte,  verloren. Seine Gedichte sind Wort und Poesie gewordener Überlebenskampf mit und in dieser Stadt, die für ihre eigenen Künstler jenseits aller Kulturförderung  oft nicht viel Wohlwollen aufbringt.  

Diesem Thema widmete sich der Round Table am nächsten Tag: im schönen hellen Projektraum der Feuerwache  Muss der Künstler politisch sein? mit den  Fragen: Entscheidung in der Kulturpolitik ? Aufrichtig? Neue  Musik ,Offen oder im Käfig? Warum ist neue Musik so unpopulär? An dem Round Table nahmen teil: Notker Schweikhardt (Bündnis 90/Die Grünen- Kulturausschuss) Gabriele Berlin (1.Vorsitzende  Initiative Berlin-Musik-Museum e.V. Roland Jerzewski (Literaturwissenschaftler)  Michael Quell (Komponist  und Hochschuldozent) und Franz Jochen Herfert (Komponist und Lehrbeauftragter für Neue Medien an der Uni Augsburg)   Geleitet wurde die Gruppe von dem Kulturwissenschaftler Dr. Martin Völker, der immer wieder auch kontroverse Punkte in die Debatte brachte. Das hochmotivierte und sehr kompetente Publikum griff in die Diskussion ein, so dass hier nur einige Punkte herausgestellt werden können. Während Jerzewski  beklagte, dass angesichts der Sprachenvielfalt in der eigenen Stadt Berlin weit hinter seinen Möglichkeiten bleibt, wies Quell auf die  immer karger werdenden Möglichkeiten der kommenden Generation hin, die  evt. durch die wiederholt geäußerte Forderung nach mehr Bildung letztendlich betrogen fühlen könnte.  Auf dem Hintergrund der Teilnahme von Notker Schweikhardt und seinen Gedanken und Ausführungen zu einer künftigen Kulturpolitik ist der Artikel des Tagesspiegel vom 18.Juni über den Bundesparteitag der Grünen  mehr als verwunderlich, der  überschrieben wurde  mit wer nur in den Grenzen des aktuellen Systems denkt, kann keine Utopien und Visionen entwickeln  und führt aus: Kultur ist für eine lebendige Demokratie unverzichtbar. Sie ist oft provozierend und hält der Gesellschaft den Spiegel vor und bietet Raum für neue Ideen und Visionen….und der Artikel fährt fort, Damit haben die Grünen selbst sich aus der Disziplin Visionäres verabschiedet. Glücklicherweise  (auch für die Partei) versuchte Schweikhardt mit großem Erfolg entgegen diesem Zeitungsbericht ein anderes Bild zu vermitteln. Denn diese Stadt besteht aus vielen Kreativen, die Teilhabe erstreben,  aber auch überleben wollen. Man könnte die Behauptung wagen, das Interesse an der Kultur ist größer als an E.-Autos, die dieses Klientele sowieso nicht kaufen kann und sehr oft auch nicht will.  Der leider abwesende Dr. Rainer Strzolka, Galerie für Kulturkommunikation Hannover , der nur mit einem Paper vertreten war, wies darauf hin, dass gemäß der Bundeszentrale für politische Bildung der Gesamtetat für Kultur 9.6 Milliarden beträgt, also ein Viertel von dem, was dieses Land für die Flüchtlinge ausgegeben hat. Man sollte evt. diese Summen nicht gegeneinander ausspielen, aber es bleibt nicht aus, dass dies evt. doch von vielen Menschen eben auch von Künstlern getan wird. Man darf nicht vergessen, dass Menschen immer noch wie in vorstaatlichen Zeiten mit der Familie konnotiert sind, nachfolgend mit der Region, aber nicht global, da mögen Kirchleute noch so oft darauf hinweisen. Berlin sollte das nicht vergessen.

Welche Auswirkungen diese mangelnde  musische Bildung hat,  wurde von einer Teilnehmerin mit dem Hinweis auf die Situation der Schulen in Berlin vor Augen geführt. Besonders der Musikunterricht führt dabei ein stiefmütterliches bis gar kein Dasein. Dabei ist er ausschlaggebend  für Eigenschaften, die diese Gesellschaft braucht und noch viel mehr brauchen  wird: Zuhören, Kommunizieren und Respekt für den anderen. Wie weit dieses jetzt schon fehlt, zeigten leider die studentischen Gäste am Abend des letzten Tages, Ohne Gespür verwechselten sie  das Festival mit einem Clubbesuch , schade, denn so zogen Sie keinen Gewinn aus der Anwesenheit so vieler kompetenter und professioneller Musiker. Wie wollen die eigentlich lernen,  aber sie haben es wahrscheinlich versäumt, sich diese so lebensnotwendige Eigenschaft anzueignen. Dies ist kein guter  Wechsel für die Zukunft.

Wie sehr Zusammenarbeit, Kommunikation und gegenseitiger Respekt notwendig sind, zeigte das Konzert des art ensemble berlin, (www.artensemble-berlin.de  )  das  für einen großen Teil der Uraufführungen verantwortlich war. (Schmidt, Quell, Wohlhauser;  Keller ,Herfert, Simon) Das Programm  des Art Ensemble (Flöte Antonella Bini, Oliver Potratz Kontrabass und Art Oliver Simon, Klavier) bringt in erster Linie Uraufführungen zum Klingen (Galactic Composers‘ Project 2017) und stellt sich damit einer großen Aufgabe,  denn selbstverständlich sind die gespielten Stücke recht oft keine Ohrwürmer  beim  Publikum und dementsprechend schwierig zu spielen. Man will auch unbedingt die sich kontinuierlich steigernde Flötistin Bini, Italien  im Ensemble halten, aber die sich dadurch ergebenden Zeit /Programm  und finanziellen Probleme sind keine Kleinigkeit. Aber mit dieser  Anzahl von Uraufführungen bietet das Ensemble ein wunderbares Bild zeitgenössischer Musik – Einblick in Kreatives Schaffen auf höchstem Niveau und gibt  damit Stoff zum Nachdenken, die so oft geforderte Nachhaltigkeit.

Denn man wundert sich, was  zwei Tage bewirken können. Nicht nur ein Eintauchen in die Welt der Musik , eine Begegnung mit Künstlern und Komponisten bei Wort. Musik und Tisch, beim gemeinsamen Essen, eine reiche eine schöne Zeit voller Wohllaut. Möge die Feuerwache darüber wachen, dass dieses Feuer nicht verlöscht!

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